LANDSCHAFTEN/ ORTE

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WEMDING


17. SEPTEMBER 2021


Eine entzückende kleine Stadt! Die knapp 6.000 Einwohner zählende Stadt Wemding in Bayerisch-Schwaben  (Landkreis Donau-Ries) be­fin­det sich am Rande des durch einen Meteoriteneinschlag ent­stan­denen Ries-Kraters. Siehe dazu Nördlingen. Überregional bekannt ist der Erholungsort als Wall­fahrts­stadt (Basilika minor: „Maria Brünnlein zum Trost“) und als Fuchsienstadt.

Wemding ist von München aus in etwa eineinhalb Stunden mit dem Auto erreichbar. Mit öffentlichen Ver­kehrsmitteln (kein Bahnanschluss) ist es zeitaufwändiger, zumal man dann ohne eigenes Gefährt nicht die Mög­lich­keit hat, die interessante Umgebung zu erforschen. Und es lohnt sich in der Tat, hier am Rande der berühmten Romantischen Straße ein paar Tage zu verweilen.


Durch Zufall bin ich auf ein Hotel im kleinen Ort Otting gekommen, ein privat geführtes kleines, an einem kleinen See gelegenes Schlosshotel – Schloss Otting. Der Inhaber ist ein kom­mu­ni­ka­tiver Ex­zen­triker, der sich mit dem Schloss, das er über eBay ersteigert  hat, einen Lebenstraum erfüllt hat.


Schloss Otting


Die Landschaft ist, wenn man ein wenig Glück mit dem Wetter hat – ich hatte es! –, ein Traum. Otting ist nur fünft Kilometer von Wemding entfernt, ein Katzensprung also. Im sanften Morgenlicht durch die kleinen Dör­fer rund um Wemding zu fahren, ist an sich schon ein Genuss!


Otting Kapelle Mater Dolorosa


Die Größe der über 1200 Jahre alten Stadt ist über­schau­bar. In etwa eine Stunde kann man die wich­tigs­ten Se­hens­wür­dig­keiten „abklappern“. Von der Webseite der Stadt kann man sich ein Pdf-Dokument mit einem Vor­schlag für einen Stadtrundgang herunterladen. Neben dem historischen Marktplatz mit seinen wun­der­schö­nen Bür­ger­häu­sern werden wichtige Sehens­wür­dig­kei­ten emp­fohlen. Die 700 Jahre alte Stadt­mauer mit ihren Wehr­tür­men und Wall­graben, die kreisrund die Altstadt umfasst, ist ein relevanter Bestandteil davon.


Der Baronturm


Von den ehemaligen drei Tortürmen sind noch das Nördlinger und das Amerbacher Tor erhalten, von den ehe­maligen 33 Mauertürmen sind noch der Baron-, Häutbach- und Folterturm erhalten. Die äußere Mauer ist nahezu komplett erhalten.


Ich persönlich entscheide lieber selbst an jeder Straßenecke, wo es weiter gehen soll. Gemütlich bei einem Eis zu sitzen und den Marktplatz aus einer „philosophischen“ Warte zu betrachten, ist auch eine gute Option, selbst wenn sie manche Wissenslücken hinterlässt. So habe ich beispielsweise erst aus einem Prospekt er­fah­ren, dass nur einige Meter von dieser Stelle das Geburtshaus des Botanikers Leonhart Fuchs (1501–1566) zu be­sichtigen gewesen wäre. Nach ihm wurde die Gattung der Fuchsien benannt.


Eiscafé Valentino am Marktplatz


In der Tat gehört der historische Marktplatz, der im 17. und 18. Jahrhundert sein jetziges Aus­sehen bekam, zu den schönsten Marktplätzen in Schwaben. Er ist noch von liebevoll renovierten Altstadt-Häusern umgeben wie in den Zeiten des früheren wohlhabenden Bürgertums. Meine Augen wandern aufmerksam von Man­sard­sat­teldachbauten zu pro­fi­lierten Gesimsen und Schweif­giebeln, zu offenem Fachwerk und mehr­ge­schos­sigen Volutengiebeln mit Giebelgesimsen. Eine Ar­chi­tek­tursprache, die ich gerne vertiefen möchte.


Die Stadtpfarrkirche St. Emmeram ist 950 Jahre alt und damit 100 Jahre älter als die Stadt München. Sie ist das älteste und besterhaltene Baudenkmal der Stadt Wemding aus dem frühen Mittelalter. Experten gehen sogar davon aus, dass es sich um das älteste noch genutzte Bauwerk im Donau-Ries-Kreis handelt.

Sie sind ohne Zweifel das bedeu­tends­te Wahr­zeichen der Stadt. Sie machen das Stadt­bild Wemdings un­ver­wech­sel­bar: die beiden Kirch­türme. Nur dem, der ganz genau hins­chaut, fällt auf, dass die Türme nicht gleich aussehen und einer der beiden sogar schief steht.


Die Türme der St-Emmeram-Kirche


Ursprünglich wurde die Stadtpfarrkirche St. Emmeram nur mit dem Süd­turm erbaut. Dort oben hat­te der Türmer seine Woh­nung und soll­te die Wem­din­ger vor Gefah­ren und Brän­den warnen. Dennoch brann­te 1559 der Turm bis zur Glo­cken­stube ab. 50 Jahre nach dem Wieder­aufbau zeig­ten sich unter­halb der Schall­löcher klaf­fende Risse. Der Turm hatte sich um etwa 45 cm nach Süd­westen geneigt.


Aussicht vom St. Emmeram Kirchturm


Man entschloss sich, einen zweiten Turm zu bauen, der die vier schweren Glocken be­hei­maten sollte. So gibt es in der Stadt also einen Turm mit drei Uhrglocken (der ältere) und einen Glockenturm (der jüngere und schlan­kere). Fertiggebaut wurden die beiden Türme in ihrer heutigen Form und Höhe (60 und 61 m) erst ab 1660.


In der Turmstube

170 Stufen muss man bewältigen, wenn man hinauf in die Türmerstube steigen will. Im Som­mer sind Grup­pen­füh­rungen vorgesehen (die zurzeit wegen COVID aber ab­ge­sagt wur­den). Ich hatte das Glück, den Pfar­rer persön­lich sprechen zu können, der mir kur­zer­hand die Schlüssel überließ. Als „alter Knacker“ finde ich den der Aufstieg ganz schön an­stren­gend. Eine kleine Bergtour!


Aussicht vom St. Emmeram Kirchturm


Ohne Gruppen- und vor allem Zeitzwang genieße ich den Aufenthalt in luftiger Höhe. Es ist zeitweise bewölkt und ich muss immer wieder auf das Herauskommen der Sonne warten, um ein gutes Licht fürs Fotografieren zu bekommen. Die Aussicht ist großartig! In Richtung westen sehe ich die Wallfahrtsbasilika Maria Brünnlein. Nachdem 1680 der Wemdinger Schuhmacher Franz Forell ein Gnadenbild Unserer Lieben Frau von Rom nach Wemding gebracht hatte, wurde 1692 zunächst eine ältere Kapelle gebaut. Wegen des anwachsenden Pil­gerstroms dann in den Jahren 1748 bis 1782 die heutige Rokokokirche.



Als ich wieder unten bin, merke ich, dass ich meine Mütze in der Turmstube vergessen habe. Die Vorstellung, aber, den mühsamen Aufstieg wieder in Angriff zu nehmen, begeister mich nicht. Zumal graue Gewitterwolken den Himmel verdunkelt haben und mich deshalb keine „fotografischen“ Ziele nach oben locken. Ich ver­schie­be das Vorhaben auf morgen.


Gemütlich verbringe ich ein halbes Stündchen in der Eisdiele auf dem Marktplatz. Direkt vor meinen Augen sehe ich den imposanten Bau des Alten Rathauses. In seiner heutigen Form wurde es 1551/52 gebaut.


Das alte Rathaus


Den stattlichen Renaissancebau ziert ein hoch auf­ra­gender, zinnenbesetzter Treppengiebel mit auf­lie­gen­den Steinkugeln. Auf dem steilen Dach sehe ich ei­nen diagonal aufge­setz­ter Dachreiter mit einem spitzen Helm. Er birgt das „Armsünderglöckchen“. So nannte man das Glöck­chen, dessen Laute einen Ver­ur­teil­ten auf dem Todes­weg beglei­tete, vom Aus­tritt aus dem Ge­fäng­nis in die freie Morgen­luft bis hin zur Hin­rich­tungs­stätte.


Mittagszeit! Auf der Suche nach einer Gaststätte gehe ich die Wallfahrtstraße entlang in Richtung Norden. In dieser reihen sich äußerst reizvolle Bürgerhäuser aneinander, ich bin wieder begeister von den ar­chi­tek­to­ni­schen Details: barock gestaltete Häusergiebeln, Fach­werk­fas­saden, barocke Türgerüste, Schweif­giebel, ... dutzende Fotomotive!


In der Wallfahrtstraße


Leider sind all die wohlklingenden Gasthäuser, die sich in der Straße befinden, geschlossen, das Gasthaus Meer­fräulein, das Gasthaus zur Ente und das herrliche Gast­haus zum weißen Hahn , ein Bau aus dem 16. Jahrhundert.

Durch das Amerbacher Tor, ein Torturm mit spitzbogiger Durchfahrt und Pyramidendach aus dem 14. Jahr­hundert, gelange ich außerhalb der Stadtmauer.


Am Amerbacher Tor


Kurz darauf stehe ich vor einem knallroten neubarocken Gebäude mit einem für Wemding so typischen Giebel mit seitlich angebrachten (schneckenförmigen) Voluten) – die Trattoria da Francesco.


Trattoria da Francesco


Im geschichtsträchtigen Rahmen dieser altdeutschen Stadt hätte ich zwar lieber „stil­ge­recht“ tra­di­tio­nelle deutsche Gerichte gegessen, aber das Ambiente dieses Res­tau­rants ist einladend und die ita­lie­ni­sche Küche entpuppt sich als echt und her­vor­ragend!


Pappardelle ai porcini


Der – falsche – Eindruck, dass ich in dieser kleinen Altstadt (von gerade 500 Metern Durch­messer) schon alles gesehen habe, ermuntert mich dazu, mich ins Auto zu schwingen und eine Fahrt durch die umgebende Land­schaft zu unternehmen – ziellos. Die bereits tief ste­hen­de Sonne und die sich auflösenden Ge­wit­ter­wol­ken tauchen die nur in Ansätzen hü­ge­lige Landschaft in ein warmes, beeindruckendes Licht.


Landschaft bei Alerheim


Als ich in Wemding zurück bin, erlebe ich die Altstadt in einem spektakulären, fast un­wirk­lichen Licht, das die ursprünglich pastellfarbenen Fassaden mit einer satten, warmen Tö­nung überzieht.


Marktplatz und Sankt-Emmeram-Kirche


Der Übergang zur „blauen Stunde“ ist fließend. Während das blaue Lichtspektrum am Him­mel noch dominiert und die Dunkelheit der Nacht noch nicht eingetroffen ist, die Um­ge­bung also noch vom Restlicht erhellt ist, entzünden sich die warmen künstliche Lich­ter der Gebäude- und Straßenbeleuchtung zu einer faszinierende Farb­kom­position.


Das Hotel Weisser Hahn am Amerbacher Tor


Für das Abendessen gelingt es mir, eine offene „deutsche“ Gaststätte zu finden, das Res­tau­rant des Hotel Meerfräulein. Die Speisekarte liebäugelt zwar mit Exoten wie vegan Bur­ger, Bratwursthack auf Curry-Kraut und Kichererbsencurry aber immerhin: Die Stube ist ge­müt­lich, das Bier wird „im Tonkrug serviert“, Wiener Schnit­zel, Tafelspitz Wild­schwein­gu­lasch und Alt­mühl­ta­ler Lamm zieren die Speisekarte. Die Produkte stam­men vor­wie­gend aus der Region und werden frisch verarbeitet. Dafür erhielt das Hotel das Bay­ri­sche Um­welt­siegel in Gold und die Auszeichnung Gold Baye­ri­sche Küche 2007 des Ba­ye­ri­schen Hotel– und Gast­stät­tenverbandes.


Das Hotel Meerfräulein


1446 ist die erste urkundliche Erwähnung der Gast­wirt­schaft, damals noch unter dem Na­men Goldener Löwe. Obwohl die vergoldete Figur im Nasenschild des Hauses eine Meer­jung­frau darstellt, hat der un­ge­wöhn­liche Namen Meerfräulein einen anderen Ur­sprung. Den Namen verdankt das Hotel den Franzosen, die 1727 die Stadt belagerten. Zu dieser Zeit be­wirt­schaf­teten drei junge Mägde den Gasthof, der deswegen bei den Sol­da­ten besonders beliebt war. Sie wurden schließlich von “mehr Fräulein“ bedient als in den anderen Lo­ka­len. Seither bezeichneten die Wemdinger den Gasthof als den „Fräuleins-Wirt“, was später zu Meerfräulein  wurde.


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