GARTENZWERGE
Typisch deutsch?
Die überwiegende Mehrheit (69 Prozent) der Deutschen gibt zu, ihr Auto zu lieben – bei Frauen sind es sogar 74 Prozent. 18 % geben sogar zu, ihrem Wagen einen Kosenamen gegeben zu haben.
Das deutsche Brot. Brot spielt in der deutschen Esskultur eine zentrale Rolle. Immerhin gibt es mehr als 3.000 Brotsorten: Vom Weizen- und Roggenbrot über Pumpernickel bis hin zum Knäckebrot. Seit 2014 gehört das deutsche Brot sogar zum deutschen „Immateriellen Kulturerbe“.
Eine fast mystische Liebe zum Wald. Die Beziehung der Deutschen zu ihren Wäldern ist legendär. Der Deutsche Wald wurde als Metapher und Sehnsuchtslandschaft seit Anfang des 19. Jahrhunderts in Gedichten, Märchen und Sagen der Romantik beschrieben und überhöht.
Schultüten. Das ist (fast) einzigartig in Europa. Um den Kindern den Schritt in die erste Klasse, also in den Ernst des Lebens zu erleichten, bekommen sie ein kleines Geschenk: die Schultüte. Die bunte Tüte voller Süßigkeiten breitete sich von Thüringen und Sachsen nach ganz Deutschland, Österreich, und in die deutschsprachige Schweiz aus. Inzwischen gibt es auch in Tschechien für jedes Kind eine Schultüte, die mit Süßigkeiten und Geschenken gefüllt ist.
Socken in Sandalen galten bislang im öffentlichen Bild als „typisch Deutsch“. Vor allem deutsche Touristen wurden in den südlichen Urlaubständern dafür verschrien und belächelt. Socken in Sandalen sind sie vielleicht das größte Klischee, das mit den Deutschen in Verbindung gebracht wird. Aber ist das wirklich immer noch uncool? Die Kombination aus offenen Schuhen mit Socken könnte unversehens zum Modetrend werden.
In nicht wenigen deutschen Gärten und auf dem einen oder anderen Balkon sind sie zu finden: kleine Zwerge mit traditionell roten Zipfelmützen. Die Gartenzwerge gelten als typisch deutsch. Sie tummeln sich zwischen Blumenrabatten in Vorgärten oder neben dem Tomatenstauden. Sie stehen bei Wind und Wetter ihren Mann – und das schon länger, als man vielleicht denkt.
Man findet die Gartenzwerge vor allem in liebevoll gestalteten Blumenbeeten und in der Nähe von Gartenteichen. Egal, ob sie einen Spaten, eine Gießkanne oder die Laterne eines Nachtwächters in den Händen hält, ein charakteristisches Merkmal verrät immer ihren traditionellen Ursprung: die rote Zipfelmütze. Die Gartenzwerge werden im Ausland ebenso wie die Kuckucksuhr als typisch deutsch angesehen – was sie ohne Zweifel auch sind.
Als Gartendekoration fanden die Zwerge zuerst Anwendung im Barock und dort auch nur in den großen Gartenanlagen der adeligen Höfe, den Hofgärten. Zwerge aus weißem Marmor, etwa 320 Jahre alt, finden Sie so zum Beispiel im Salzburger Zwergelgarten. Zunächst konnten sich die Figuren auch nur die Adeligen und diejenigen leisten, die Geld und das Bürgerrecht einer Stadt hatten – das Großbürgertum. Diese Figuren stellten entweder die Angestellten, das Personal und ihre Tätigkeiten nach.
Lange Zeit galten die Zwerge in den Gärten als Accessoires gehobener Gesellschaftsschichten. Ende des 18. Jahrhunderts waren sie weit verbreitet. Johann Wolfgang von Goethe schrieb im bürgerlichen Epos „Hermann und Dorothea“ über einen „in der ganzen Gegend“ berühmten Garten mit seinen „farbigen Zwergen“. Spätestens mit den Brüdern Grimm und ihren Märchen (1812) etwa von „Schneewittchen“ oder „Rumpelstilzchen“ setzten die Zwerge zum Siegeszug an. Literaturpreisträger Thomas Mann ließ zum Beispiel seinen Roman-Protagonisten Felix Krull über den „anmutigen Herrensitz“ seiner Familie berichten: „Der abfallende Garten war freigebig mit Zwergen, Pilzen und allerlei täuschend nachgeahmtem Getier aus Steingut geschmückt.“
Im 19. Jahrhundert verbreiteten sich die Gartenzwerge auch in kleinbürgerlichen Vorgärten, zunächst in Großbritannien, Deutschland, Österreich und der Schweiz und später auch in anderen europäischen und nichteuropäischen Ländern.
Die erste größte Blütezeit hatten die Gartenzwerge in der Zeit von 1870 bis 1920. Ausgelöst wurde die Mode von der Märchenwelle der Neuromantik. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden in Thüringen dann die ersten Zwerge für den Garten in Serie hergestellt. 1872 wurden in Gräfenroda in Thüringen zwei Unernehmen gegründet, August Heissner und Philipp Griebel, die später Gartenzwerge in Massen- und Serienproduktion herstellten. 1898 wurden Thüringer Zwerge erstmals auf der Leipziger Messe angeboten.
Gartenzwerge
Die ursprünglichen Gartenzwerge wurden (und werden noch immer) aus Terrakotta hergestellt. Sie wurden von Hand in Formen gegossen, getrocknet, gebrannt, bemalt und lackiert. Einige Zwerge bestanden aus bis zu zehn einzelnen Teilen (wie Schürze, Bärte, Pfeifen usw.), die jeweils in eigenen Formen hergestellt wurden. Die klassischen Gartenzwerge sind von mittelalterlichen Bergleuten inspiriert. Sie tragen oft eine Schaufel, eine Spitzhacke oder eine Laterne, oder schieben eine Schubkarre vor sich her.
In der Folgezeit befassten sich immer mehr Manufakturen mit der Herstellung von Gartenzwergen. Zwischen 1914 und 1945 sank der Verkauf bedingt durch die Weltkriege. Erst nach dem 2. Weltkrieg begann ein zweiter „Boom“. Es kam zur ihrer zweiten und anhaltendn Blütezeit. Mit der Zeit haben die Gartenzwerge keinesfalls an ihrer Beliebtheit eingebüßt. Schätzungsweise stehen heute in deutschen Gärten etwa 25 Millionen Gartenzwerge.
Gartenzwerge wurden oft kritisch als der Inbegriff des deutschen Spießbürgertums und als Zeichen des schlechten Geschmacks angesehen. Spätestens Ende der 1960er-Jahre definierte sich der Begriff „Kitsch“ im Zusammenhang mit Gartenzwergen. Sie sind des Deutschen liebster Kitsch!
Zuerst kommt die Grenze, dann die Tankstelle und schließlich – unübersehbar – der "Tschechienmarkt". Solche Märkte waren kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und der entsprechenden Öffnung der Grenzen Anfang der 1990er-Jahre im Grenzgebiet wie Pilze aus dem Boden geschossen. Hunderte von Gartenzwergen gehören zu deren auffälligste Ware. Viele Besucher aus Deutschland oder Österreich reiben sich verwundert die Augen, wenn sie bei ihrem ersten Trip nach Tschechien auf ein solches massenhaftes Angebot von Gartenzwergen stoßen. Jeder Zwerg schöner als der andere. Man könnte meinen, dass die Touristen vor allem wegen eines unwiderstehlichen Drangs nach Gartenzwergen und ähnlichen Gipsfiguren ins Land gekommen seien.
In den 1990er-Jahren entwickelten sich die deutschen Gartenzwerge in eine neue, provokante – Traditionalisten würden manchmal sagen „geschmacklose“ – Richtung. Es wurden beispielsweise Zwerge mit erhobenem Stinkefinger modelliert, als Exhibitionisten oder mit heruntergelassener Hose. Aber gleichzeitig auch durchaus humorvolle Zwerge mit den Konterfeits von Politiker (Schröder, Kohl, Gysi, Blüm usw.). Das daraus resultierende Medieninteresse führte dafür, das Gartenzwerge ganz neue Liebhaber fand. Bei vielen Zwergenliebhabern und Sammlern sind Zwerge dieser neueren Bauart allerdings verpönt. Ebenso kritisiert wird der Einzug von Zwegenfrauen in die Zwergenwelt.
Damit die Gattung Gartenzwerg nicht ausstirbt, wurde 1981 die „Internationale Vereinigung zum Schutz der Gartenzwerge“ mit Sitz in Basel gegründet, deren Anliegen die Verbreitung der „Zwergenkunde“ und die Forschung im Bereich historisch „korrekter“ Gartenzwerge ist. Ein „artgerechter“ Gartenzwerg hat demnach eine Zipfelmütze, einen Bart, ist maximal 69 Zentimeter groß, männlich und ist aus Lehm, gebranntem Ton oder auch aus Holz gefertigt. Ist der Gartenzwerg aus Plastik, wird er von der Vereinigung nicht anerkannt.
In den späten 1990er-Jahren wurde die Initiative „Rettet die Gartenzwerge“ ins Leben gerufen. Die Unterstützer dieser Bewegung „befreiten“ die Figuren aus Vorgärten und setzten sie oft in Wäldern oder entlang von Autobahnen aus, die als ihr „natürlicher Lebensraum“ betrachtet wurden.
Ein „Gnoming“ genannter neuer Trend scheint Schule zu machen. Einige Fälle sind zu nationalen und internationalen Schlagzeilen geworden, in denen Menschen einen Gartenzwerg aus einem Garten gestohlen und dem Besitzer dann als Scherz eine Zeit lang Fotos des Zwerges vor berühmten Sehenswürdigkeiten geschickt haben, bevor sie ihn zurückgebracht haben.
(*) Foto von Wikinoby~commonswiki (Lizenz)
(**) Foto von MatthiasKabel (Lizenz)
(***) Foto von Patrickneil (Lizenz)